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Ich bin Mutter und arbeite als freie Journalistin. Ich schlage mich also nicht mit einem Arbeitgeber herum, der auf Präsenz im Büro Wert legt. Termine beim Kinderarzt kann ich problemlos jederzeit wahrnehmen. Und ist das Kind krank, bleibt es bei mir zu Hause. Für das Familienleben ist das alles ganz wunderbar. Nur bin ich damit leider kein typischer Fall.

Ich habe Freunde, die jeden Tag voller Schuldgefühle gegen halb fünf zur Bürotür hinausschleichen, weil die Kita schließt. Die das Gefühl haben, niemandem gerecht zu werden: dem Arbeitgeber nicht, den Kindern nicht, dem Partner nicht. Die also jeden Satz von Marc Brost und Heinrich Wefing (ZEIT Nr. 6/14) unterschreiben würden. Sie sind die typischen Fälle.

Ich habe aber auch andere Freunde. Sie leben in Dänemark, Schweden oder den Niederlanden. Und sie erzählen mir, dass sie ganz selbstverständlich um 16 Uhr die Bürotür hinter sich zumachen. Sie berichten von Tagen, an denen der Papa zu Hause bleibt. Und von Vorgesetzten, die erwarten, dass ihre Mitarbeiter ihre Kinder pünktlich von der Kita abholen, wie sie selbst.

Familie und Karriere sind eben doch vereinbar! Dafür braucht es allerdings nicht weniger als ein Umdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Das kann dauern. Müsste es aber nicht. Denn zum Glück können wir uns einiges von unseren Nachbarn abgucken.

MARIKE FRICK

ist freie Journalistin. Sie schriebTapas zum Abendbrot – wie man eine internationale Beziehung (über)lebt.

In Dänemark reagieren Firmengründer aus Deutschland erst mal fassungslos auf Mitarbeiter, die um halb vier in Richtung Kita verschwinden, egal, wie viel noch zu tun ist. Bis diese Vorgesetzten lernen, die Aufgaben so zu strukturieren, dass sie bis um halb vier machbar sind. Umdenken schlägt Aufregen. Denn die Dänen sehen es geradezu als Menschenrecht an, den späten Nachmittag und Abend mit ihrer Familie zu verbringen. Selbst Chefs dürfen das. In Dänemark sorgt es noch nicht einmal für Erstaunen, wenn die Chefin der IT-Abteilung einer großen Bank jeden Tag um 14.30 Uhr verschwindet, weil sie vier Kinder hat. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die Chefin der IT-Abteilung. Vier Kinder. Geht um halb drei nach Hause. "Jeder Arbeitgeber wird sagen, dass er eine sehr liberale Einstellung zu Arbeitszeiten habe", sagt auch Annemette, die in einem dänischen Ministerium arbeitet. "Das ist hier die Erwartung." Zwar reagiere nicht jeder Chef entspannt, wenn plötzlich das Kind krank werde. "Aber das würden die nie offen zugeben." Annemette ist Mitte 30 und hat zwei Kinder. Mir kommt es so vor, als seien drei Kinder eher Normalität als Ausnahme. Sicher, auch sie kennt das Geschiebe von Terminen, das Absprechen und Organisieren und auch die Müdigkeit. An manchen Tagen holt ihr Freund die Kinder von der Kita ab, dann arbeitet sie länger, an anderen ist sie an der Reihe. Sie kennt auch das Arbeiten am Abend, wenn die Kinder im Bett sind. "Aber vorher und am Wochenende liegt der Fokus zu 100 Prozent auf der Familie." Wahrscheinlich auch deshalb, weil niemand eine E-Mail vom Rande des Fußballfeldes erwartet, ja sogar entsetzt darauf reagieren würde.

Schade, dass das in Deutschland nicht so ist. Aber kann die Politik da überhaupt etwas ausrichten? Sie kann, das zeigt das Beispiel Niederlande. Natürlich gibt es auch hier Probleme, beispielsweise sind Kitaplätze vergleichsweise teuer. Aber es gibt auch clevere Ideen, wie den berühmten Papa-dag. Väter nehmen einen Tag in der Woche frei, um ihn mit ihren Kindern zu verbringen (auch die meisten Mütter tun dies, nur scheint das nicht ungewöhnlich genug zu sein, um einen eigenen Namen zu rechtfertigen). Das geht, weil die Regierung eine schlaue Regelung gefunden hat: Jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine sechsmonatige Familien-Auszeit, die er auf einen langen Zeitraum ausdehnen kann. Verteilt man die Stundenanzahl von sechs Monaten auf mehrere Jahre,wird ein freier Tag pro Woche möglich. Kein Arbeitgeber darf dies verwehren. Zwar bleibt der Papa-dag unbezahlt – aber wie viele würden auf ein wenig Gehalt verzichten, wenn sie nur etwas mehr Zeit mit ihrer Familie hätten? So wird das scheinbar Unmögliche möglich: ein ausreichendes Familieneinkommen und mehr Familienzeit.

Dass auch die Wirtschaft etwas tun kann, macht Schweden vor. Dort wohnt seit Kurzem wieder mein schwedischer Freund Tomas, der einen hervorragend bezahlten Job in der Schweiz gekündigt hat, weil die Bedingungen für Familien dort ähnlich miserabel sind wie in Deutschland. Er sagt: "Familienfreundlichkeit ist unter meinen Freunden das wichtigste Kriterium, wenn sie sich für einen Arbeitgeber entscheiden. Das ist der entscheidende Faktor, gerade bei den gut Ausgebildeten in Führungspositionen." Um fünf Uhr nach Hause zu gehen, das sei auch für Manager nicht nur möglich, sondern es werde geradezu erwartet. In Schweden gibt es unter Firmen einen Wettbewerb darum, wer das familienfreundlichste Umfeld bieten kann. Babysitter-Dienste in der Firma und die Vermittlung von vergünstigten Putzhilfen sind nur zwei Beispiele dafür. Viele Arbeitgeber stocken das Elterngeld auf 100 Prozent auf, selbstverständlich auch für Väter, "weil die Leute dann voller Dankbarkeit und neuer Energie zurückkehren", sagt Tomas. Alle seine Freunde arbeiten 100 Prozent, sagt er, alle hätten Kinder. Und alle seien recht zufrieden mit der Balance zwischen Arbeit und Familie. Das liegt auch an Kindergärten, die von sechs Uhr morgens bis abends um 18 Uhr geöffnet sind. Allerdings fühle er sich sehr schlecht, wenn er seinen Sohn ausnahmsweise erst um sechs abhole, sagt Tomas. In der Schweiz stand er zu der Zeit gerade mal vom Schreibtisch auf. "Hier verbringe ich viel mehr Zeit mit meinem Sohn. Allein das war den Umzug wert."

In Deutschland bekommt eine Frau statistisch gesehen 1,36 Kinder. In Dänemark sind es 1,75, in den Niederlanden 1,76, in Schweden 1,9. Unsere Nachbarn kriegen auch nicht genug Kinder, wir aber noch weniger. Gut möglich, dass sich das ändert, wenn wir einfach mal häufiger schauen, wie es unsere Nachbarn machen.