Die US-Philosophin Susan Neiman leitet das Einstein Forum in Potsdam. Die deutsche Debatte über Vereinbarkeit von Kind und Karriere findet sie überholt.
Geht es nach Susan Neiman, sollte das Thema Frauenkarriere in der Wissenschaft überhaupt kein Thema sein. Neiman, Mitte 50, schwarzes Kleid, afrikanischer Schmuck, steht in der Küche ihrer Berliner Altbauwohnung und gießt Tee auf. "Eine Frau leitet ein Wissenschaftsinstitut, na und?", sagt sie und lacht. Frauen in Führungspositionen, Vereinbarkeit von Kind und Karriere – diese Diskussion findet sie hoffnungslos veraltet. Egal, wie erbittert sie in deutschen Unternehmen, Zeitungen und Talkshows geführt wird.
Die Amerikanerin Neiman steht an der Spitze des Einstein Forums, das in Potsdam internationale Denker, Künstler, Politiker zusammenbringt. Das Institut versteht sich als interdisziplinäres Thinktank, das außerhalb der Universitäten den Austausch von Ideen fördert: mit Tagungen, Vorträgen, eigenen Veröffentlichungen. Seine Gäste sind oft hochkarätig, denn wenn Neiman anruft, reisen Hans Magnus Enzensberger, Eva Illouz oder Breyten Breytenbach an.
Auch ohne High-School-Abschluss zur Promotion in HarvardAls Frau in einer wissenschaftlichen Spitzenfunktion ist sie eine von wenigen: Obwohl mehr Frauen als Männer ein Studium abschließen, sind die meistenProfessuren in Deutschland fest in männlicher Hand. Die Schere öffnet sich nach dem Studienabschluss – je höher die Positionen im akademischen Betrieb, desto weniger Frauen findet man dort. So waren nach einer Erhebung des Wissenschaftsrats im Jahr 2010 zwar 52 Prozent der Hochschulabsolventen weiblich, und immerhin 44 Prozent der Promovierenden. Doch unter den Habilitierten sind die Frauen nur noch mit 25 Prozent vertreten, von den Professuren mit der höchsten Besoldungsstufe besetzen sie weniger als 15 Prozent. In den außeruniversitären Forschungseinrichtungen liegt ihr Anteil noch niedriger.
Neimans Weg in die akademische Welt war verschlungen, einen High-School-Abschluss hat sie nie gemacht. Sie wuchs als Kind einer jüdischen Familie in Atlanta auf, die Mutter engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassentrennung. Von ihr lernte das junge Mädchen, dass die Welt sich verändern lässt, wenn man ein bisschen Mut und Prinzipien hat. Also schmiss sie mit 14 die Schule – die Hippie-Bewegung war schließlich schon in vollem Gang – und zog los, um das zu machen, "was man Ende der Sechziger eben so machte". Ein paar Jahre lebte sie in kalifornischen Kommunen, las Sartre, De Beauvoir und Nietzsche. Schließlich landete sie in der Abendschule eines New Yorker City Colleges, an dem sie auch ohne Schulabschluss Philosophie studieren konnte. Die nächsten Stationen hießen dann: Promotion in Harvard, Professuren in Yale und Tel Aviv.
Dass Frauen an den Universitäten damals noch ganz offen unterschätzt wurden, ärgerte sie. "Einer meiner Professoren sagte mir: Es tut mir Leid, ich würde gerne daran glauben, dass Frauen so gut philosophieren können wie Männer. Aber das ist ja noch nicht vorgekommen." Neiman schüttelt den Kopf und steckt sich eine Zigarette an. "Und dann sitzt man da mit 21 und denkt: Diese ganze Last liegt jetzt auf mir, was muss ich alles beweisen?"
Auch wenn sich seitdem einiges geändert hat: Noch immer sind Frauen in der Wissenschaft weniger sichtbar als ihre männlichen Kollegen. Das hat auch damit zu tun, dass sich viele nicht trauen: Wenn Susan Neiman nach Rednerinnen für Tagungen sucht, glauben die meisten, sie hätten zum Thema nichts zu sagen. Von den Männern hört sie so etwas nie.