Der Frauenmord

Nur Mut zu politischen Entscheidungen kann Verbrechen wie die Vergewaltigung in Indien endlich eindämmen.

 


Aus der Sicht einer jungen Frau in Deutschland war das vergangene Jahr ziemlich grandios: noch mehr Mädchen, die Abitur machen; noch mehr Studentinnen; Frauenquoten im Journalismusso viele Ministerpräsidentinnen wie noch nie. 2012 war so etwas wie ein Versprechen von Aufbruch, Teilhabe und Vorankommen an die jungen Frauen. In den nächsten Jahren wird sich herausstellen, ob dieses Versprechen gehalten wird.

Aber aus der Sicht einer jungen Frau in Ägypten, Indien, China, im Iran, in Tschetschenien, Afghanistan, kurzum einem großen Rest der Welt, war dieses Jahr so wie jedes: ziemlich mies, geprägt von Unterdrückung, Ausgrenzung, oft auch von Gewalt und Tod. Dafür steht in erschütternder Weise das Schicksal einer 23-jährigen Studentin aus Delhi, die in einem Bus von einer Horde Männer vergewaltigt und malträtiert wurde. Vor wenigen Tagen starb sie an ihren schweren Verletzungen.

In Indien löste dieses Verbrechen heftige Proteste aus, vermutlich auch deshalb, weil diese Frau nicht aus einem Slum kam, sondern aus der Mittelschicht. Und dank einer weltweit vernetzten Öffentlichkeit nehmen an dem Tod der Frau Menschen weit über Indiens Grenzen hinaus Anteil und lassen die Wachsamkeit für solch furchtbare Schicksale wachsen.

Ein Verbrechen wie dieses ist in seiner Grausamkeit nicht alltäglich, statistisch gesehen jedoch wird in Indien im Schnitt beinahe jede halbe Stunde eine Frau vergewaltigt. In Russland sterben Schätzungen zufolgejährlich mehr als 14.000 Frauen, weil ihre Männer sie prügeln. Im Iran wurden in diesem Jahr an zahlreichen Universitäten Studentinnen von mehr als 70 Studiengängen ausgeschlossen, weil diese sich angeblich nicht für die weibliche Natur eignen. In Asien werden Millionen weibliche Föten abgetrieben, denn die Nachricht, ein Mädchen zu bekommen, bedeutet für die Eltern meist kein Glück, sondern eine Tragödie wegen der späteren Mitgift, die die Familie womöglich ruinieren wird. In Ägypten wiederum hat sich seit dem Sturz Mubaraks die Situation der Frauen verschlechtert. Die junge Bloggerin Aliaa Elmahdy musste ins Ausland fliehen, nachdem sie aus Protest Nacktfotos von sich veröffentlicht hatte; zudem berichten Aktivistinnen davon, dass die Misshandlungen von Frauen massiv zugenommen haben – und die Polizei nichts dagegen unternimmt. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen, und sie würde auch Europa nicht auslassen. All diese Taten haben einen gemeinsamen Nenner: den Hass auf Frauen und die Dämonisierung ihrer Weiblichkeit.

Oft ist es die Macht der Gläubigen, die das Leben der Frauen verschlimmert, häufig sind es Traditionen, die von Veränderungen abhalten. Immer aber sind es die herrschenden Verhältnisse, die zu ändern niemand bereit ist, der sich darin gut eingerichtet hat.

Dazu gehört auch die Nervosität jener, die jedes Zugeständnis an Frauen, jedes Nach-oben-Kommen als Bedrohung der Männer sehen. Wer staatliche Schritte zur Gleichstellung als eine Einmischung in die sich wunderbar selbst regelnde Gesellschaft verdammt, der hat in aller Regel ein persönliches Interesse: die Machtverhältnisse so zu belassen, wie sie sind.

Es heißt jetzt, dass die junge Frau aus Indien nicht umsonst gestorben sei. Dass ihr Kampf weitergehen werde. Nicht umsonst? Und welcher Kampf?

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