Welches Bild haben wir selbst von Alter? Welches Bild haben andere über uns? Was heißt es heute alt zu sein? Mit dem Direktor des Instituts für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Professor Andreas Kruse, sprach Sabine Davids.
Kruse war Vorsitzender der 3., 5. und 6. Altenberichtskommission sowie Mitglied der 8. Familienberichtskommission der Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn 2012 als Leiter der AG Generationenbeziehungen in die Expertenrunde zum Zukunftsdialog berufen.
Ab wann ist man heute in Deutschland alt?
Wenn andere Menschen einen älter werdenden Menschen betrachten: Dann ist man "alt", wenn man nicht mehr erwerbstätig ist. "Alt" sein beginnt also in den Augen anderer mit dem Ausscheiden aus dem Beruf und damit in einem Lebensalter zwischen 60 und 65 Jahren.
Wenn man die Älteren selbst fragt, fühlen sie sich jung. Erst 80-Jährige und Ältere sehen sich als "alt" an. "Alter" bedeutet hier, vermehrt auf Unterstützung durch andere angewiesen zu sein.
Welches Bild vom Alter herrscht heute in Deutschland vor?
Das Bild vom Alter ändert sich in den aufeinander folgenden Generationen. Das gesellschaftliche Altersbild unterliegt einem starken Wandel. Das Alter wird nicht mehr als einheitliche Größe betrachtet, das man an einem bestimmten Geburtstag festmachen kann.
Die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir hat einmal gesagt: "Wir werden nicht aufgrund eines chronologischen Alters diskriminiert, sondern wenn unser Körper nicht mehr dem Idealbild eines jungen Körpers entspricht." Das ist ein wichtiger Punkt.
Diesen kann man von innen und von außen betrachten. Von außen: damit meine ich die Wahrnehmung durch andere, wie also der Körper auf Fremde wirkt. Zerbrechlich? Schwach? Beobachten wir Einbußen oder Einschränkungen der Leistungsfähigkeit?
Von innen: damit meine ich die Selbstwahrnehmung, wie der Mensch selbst sich, seinen Körper und dessen Funktionen empfindet. Erscheint ihm sein eigener Körper als etwas zunehmend Fremdes, über das er Kontrolle verliert, dem er nicht mehr vertrauen kann? Wer die Selbstsicherheit verliert oder verloren hat, nimmt sich eher als "alt" wahr.
Wie kommt es, dass in Deutschland "Alte" und "alt sein" eher negativ besetzt sind?
Wir neigen dazu, bestimmte Körperbilder stark zu machen. Wir haben eine abstrakte Vorstellung von einem jungen, einem mittelalten und einem alten Körper. Die Werbung spielt dabei eine wichtige Rolle, um diese Vorstellungen zu verfestigen und Jugendlichkeit als Ideal hinzustellen.
Das Problem ist, dass das Alter nur an der Körperlichkeit festgemacht wird. Die seelischen und geistigen Potenziale dieses Lebensabschnitts werden dabei überhaupt nicht in den Blick genommen.
Wie können Ältere im Arbeitsleben gestärkt werden?
Viele Diskussionen mit Unternehmen zeigen mir, dass sie bemerkt haben, wie wichtig die Älteren im Betrieb sind. Man kann täglich beobachten, dass sie tatsächlich leistungsfähig sind. Die Qualifikation der Älteren wird gebraucht. Und so wandelt sich das Bild: Die Unternehmen sehen, dass es sich lohnt, in berufsbegleitende Weiterbildung und Gesundheitsschutz zu investieren. Rechtzeitig und dauerhaft. Ältere sind umsichtig, kollegial, verlässlich und haben aufgrund ihres großen Erfahrungsschatzes eine hohe Fähigkeit, Probleme zu lösen.
Deshalb räumen Unternehmen inzwischen mehr Flexibilität ein bei der Gestaltung der Arbeitszeiten, so dass Familie und Beruf besser zu vereinbaren ist. Auch die Arbeitsplätze werden zunehmend altersgerecht gestaltet. Weiterbildungsangebote richten sich nicht ausschließlich auf den Arbeitsbereich, sondern bieten auch Anregungen für Familie, ehrenamtliches Engagement oder Freizeit.
Was kann die Politik tun, um einem negativen Altersbild entgegenzuwirken?
Unternehmen müssten deutlich stärker unterstützt werden, Qualifizierungen für ihre Beschäftigten anzubieten. Weiterbildungs- und Gesundheitsprogramme müssten staatlich in stärkerem Maße unterstützt werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssen wir hier im Auge haben. Politik könnte gute Anreize schaffen, damit die Unternehmen sich nachhaltig engagieren. Das gilt auch für Angebote zur Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit.
Es fällt immer noch keinem politischen Entscheidungsträger leicht, über die Rente mit 67 zu sprechen. Dabei wäre es wichtig zu betonen, dass das längere Arbeiten ja auch flankiert wird. Bildung, Gesundheitsprävention, soziale Teilhabe nützen nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch dem Individuum und der Gesellschaft. Zudem sollten ältere ArnbeitnehmerInnen Zeit- und Handlungssouveränität besitzen: Welches Arbeitszeitvolumen möchte ich jährlich verwirklichen? Wie soll der Arbeitsplatz beschaffen sein, welche Kompetenzen soll dieser besonders betonen?
Finden Sie mit Ihren Erkenntnissen, die zum Beispiel im Altenbericht der Bundesregierung aufgeschrieben sind, genügend Gehör?
Ja, das glaube ich schon. Wir haben den Eindruck, dass das Thema "Alter" immer mehr Resonanz findet. Die Altenberichtskommission bekommt zum Beispiel sehr viele Einladungen. Das zeigt, dass ein großes Interesse besteht.
Für die Veränderung des Altersbildes in der Arbeitswelt war der 5. Altenbericht sehr wichtig. Beim 6. Altenbericht liegt der Akzent beim einzelnen Menschen, bei der Frage: Wie sieht Du das Alter? Wovon wird das beeinflusst? Wie sehen gesellschaftliche und politische Akteure das Alter?
Wir wollen nicht nur die Politik, sondern auch die Bevölkerung erreichen. Wir wollen alle gesellschaftlichen Handelnden erreichen, die Kommunen, die Gewerkschaften, die Bildungsinstitutionen wie zum Beispiel Volkshochschulen oder kirchliche Bildungsträger, alle, die für die gesellschaftliche Gestaltung des Alters mitverantwortlich sind.
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Thema noch an Aktualität und Bedeutung gewinnen wird.
Warum sollen Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, noch Aufgaben übernehmen oder sich ehrenamtlich engagieren?
Es darf nicht so sein, dass man von den Älteren verlangt, dass sie sich engagieren müssen. Aber ich finde es wichtig, dass Menschen Gelegenheit finden und auch dazu motiviert werden, sich einzubringen - in kommunalen Bereichen, in der Nachbarschaft oder in Vereinen. Mir ist es wichtig, dass Menschen sich eingeladen fühlen. Mit einer derartigen Einladung wird etwas angesprochen, was bei jedem Menschen zutiefst wichtig ist, nämlich: dazu zu gehören.
Fast alle Menschen teilen die Erfahrung, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden: Man ist nicht mehr wirklich interessiert an dem, was ich kann oder was ich weiß. Und hier müssen entsprechende Gelegenheitsstrukturen geschaffen werden, zum Beispiel kommunale Bürgerzentren. Da könnte ein Jugendlicher mit einem "Alten" ins Gespräch kommen. Und möglicherweise könnte der Alte dem Jungen bei den Hausaufgaben helfen. Wenn das alles ohne Zwang passiert, kann das eine tolle Dynamik bekommen
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