Firmen unterstützen die Pflege von Angehörigen

 

 

Oft geht es ganz schnell: Ein Unfall, eine Krankheit und plötzlich werden die eigenen Eltern zum Pflegefall. Für die Kinder eine echte Herausforderung. Sie müssen Hilfe organisieren und übernehmen nicht selten die Pflege ihrer Eltern selbst. Eine der größten Schwierigkeiten dabei: den eigenen Beruf und die Pflege der Angehörigen unter einen Hut zu bringen.
 
Zumindest große Unternehmen haben die Problematik erkannt. In Form besonderer Arbeitszeitprogramme, geschulter Ansprechpartner und Informationsprogramme helfen sie ihren Angestellten beim Bewältigen der häuslichen Pflege. Nicht zuletzt, weil sie erkannt haben, dass es sich in Zeiten des Fachkräftemangels lohnt, ältere und damit erfahrene Arbeitnehmer durch eine familienfreundliche Unternehmenspolitik an die eigene Firma zu binden.
 

Bundesregierung plant Familienpflegezeit ab 2012

 
Seit 2008 gibt es einen gesetzlichen Rahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Angehörige pflegen wollen: das Pflegezeitgesetz. Es ermöglicht ihnen, sich bis zu sechs Monate von der Arbeit freistellen zulassen oder in Teilzeit zu arbeiten.
 
Weitere Verbesserungen verspricht die Einführung der sogenannten Familienpflegezeit, die zum 1. Januar 2012 geplant ist. Sie soll Betroffenen ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, ohne allzu hohe Einkommenseinbußen hinnehmen zu müssen. Vorgesehen ist, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren auf bis zu 15 Stunden verringern können. Um die Einkommenseinbußen abzufedern, erhalten sie eine Lohnaufstockung. Wer zum Beispiel von einer Vollzeit auf eine Halbzeitstelle reduziert, erhält 75 Prozent seines letzten Bruttoeinkommens. Nach der Pflegephase wird die Arbeit wieder im vollen Umfang aufgenommen. Die Beschäftigten bekommen aber weiterhin nur ihr abgesenktes Gehalt - so lange, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist.
 

Was tut sich in den Unternehmen?

 
Der gesetzliche Rahmen ist die eine, die Eigeninitiative der Unternehmen die andere Seite. Einige Betriebe bieten Modelle an, die die gesetzliche Regelung, die zum nächsten Jahr in Kraft treten soll, vorwegnehmen. Nicht selten wird das reine Arbeitszeitmodell auch um Beratungs- und Vermittlungsleistungen ergänzt.
 
Der Pharmahersteller  Roche Diagnostics hat die Regelungen der Familienpflegezeit bereits auf freiwilliger Basis umgesetzt. Seit Januar haben einige Firmenangehörige ihr Interesse an Familienpflegezeit bekundet. Zusätzlicher Service des Unternehmens: Eine Zusammenarbeit mit einer Firma, die sicherstellt, dass Mitarbeiter bei Bedarf rasch einen Ansprechpartner für Beratung und Vermittlung von Pflege finden.
 
Bei der ERGO-Versicherungsgruppe gibt es ein Modell, das sich "Familienphase" nennt. Es ermöglicht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die sofortige Freistellung - bei Bezug von 50 Prozent des bestehenden Gehalts. Die "Familienphase" kann bis zu zwölf Monate dauern, nach Rückkehr in den Job wird so lange die Hälfte des Gehaltes ausbezahlt, wie die Freistellung vorher in Anspruch genommen wurde. Katrin Peplinski, Diversity-Beauftragte bei ERGO: "Der Mitarbeiter ist somit finanziell und sozial abgesichert und kann sich entsprechend um den zu pflegenden Angehörigen kümmern." Die Reaktionen der Angestellten auf das Angebot des Arbeitgebers bezeichnet sie als "sehr gut".
 

Gesetzliche Regelung nicht überflüssig

 
Reicht das Engagement der Betriebe aber aus, ist eine gesetzliche Regelung am Ende überflüssig? Sicher nicht. Denn wenn auch einzelne Unternehmen sich mit beachtlichen Modellen und Programmen hervortun: Eine Selbstverständlichkeit sind diese Angebote für Arbeitnehmerinen und Arbeitnehmer noch lange nicht.
 
Stefan Becker ist Geschäftsführer von berufundfamilie, einer Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Er weist darauf hin, dass das Bewusstsein für die Problematik bei den deutschen Unternehmen in der Breite noch nicht angekommen ist. Erst wenige Unternehmen böten bereits heute entsprechende Maßnahmen an, oft handele es sich um Einzellösungen, selten um systematische Konzepte.
 
Ein Problem für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen: Ohne tragfähige Arrangements zur Förderung der Angehörigenpflege müssen Unternehmen die Folgen einer Überlastung in Form von Arbeitsausfällen, vermehrten Krankheitstagen und geringerer Produktivität tragen und laufen Gefahr, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz zu verlieren.
 

Leitfaden für die Praxis

 
Die Initiative berufundfamilie hat einen Leitfaden zum Thema erstellt. Angereichert durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis gibt das Papier detaillierten Einblick in mögliche Maßnahmen und bewertet diese hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit.
 
Der Leitfaden ist um eine Checkliste erweitert, die den praktischen Einstieg in das Thema "Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Angehörigen" erleichtern soll. Mit der Liste ist schnell und übersichtlich zu erfassen, welche Maßnahmen bereits angewandt werden, welche für das Unternehmen interessant sein könnten. Ebenfalls hilfreich: der Musterfragebogen im Anhang, mit dem sich unter anderem die Bedürfnisse der Betriebsangehörigen bei der Pflege von Angehörigen erfassen lassen.

Inhaltsverzeichnis
Nach oben