Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) sind bestimmte pathogene (krankheitsauslösende) Stämme des DarmbakteriumsEscherichia coli (E. coli). Die nichtpathogenen Escherichia coli sind Bestandteil einer gesunden Darmflora. Wie das NamenspräfixEnterohämorrhagisch (enteron von altgriechisch έντερον Darm und Hämorrhagie für Blutung) andeutet, kann die pathogene Form beim Menschen gefährliche blutige Durchfallerkrankungen auslösen.

 

Erreger [Bearbeiten]

E. coli
 ist ein weitverbreitetes gramnegatives Stäbchenbakterium und Bestandteil der normalen Darmflora des gesunden Menschen. Es gibt jedoch einige serologisch unterscheidbare Stämme, die beim Menschen Darmerkrankungen auslösen. Außer der hier behandelten EHEC, die 1977 erstmals beschrieben wurden, gibt es enteropathogene E. coli (EPEC), enterotoxinbildende E. coli (ETEC) und enteroinvasive E. coli(EIEC), sowie enteroaggregative E. coli (EAEC).[1]

Enterohämorrhagische Escherichia-coli-Bakterien (EHEC) haben mehrere Besonderheiten, die ihre pathogene Potenz erhöhen: Sie können sich durch ein spezielles Hüllenprotein (Adhäsin) an die Epithelzellen der Darmwand anheften. Zweitens besitzen sie durch einePhageninfektion ein Gen für die Produktion eines Toxins, welches Ähnlichkeit mit dem neurotoxischen und nekrotisierenden Toxin Shigella dysenteriaes hat und als Shiga-Toxin oder auch Vero-Toxin (Vero-Zellen = Affennierenzellen) bezeichnet wird. Schließlich produzieren die EHEC-Stämme auch noch ein plasmidkodiertes Hämolysin (blutzellenzerstörendes Toxin). Auf die drei häufigsten Serogruppen O157, O103 und O26 verteilten sich fast 60 % der Erreger. Der Buchstabe „O“ (nicht die Ziffer „Null“) steht hier für die jeweiligen, als Oberflächenantigene wirkenden, Lipopolysaccharide der äußeren Zellmembran der Bakterien. Essenziell für die Virulenz ist außerdem das Vorhandensein des Sensorproteins QseC.

Die krankmachenden EHEC gelten nur als Untermenge der „Shiga-Toxin-bildenden E. coli“ (STEC) (synonym „Vero-Toxin-bildende E. coli“ (VTEC)), das heißt, es soll auch nicht-pathogene, aber toxinbildende Stämme geben. Da alle bisher beim Menschen gefundenen VTEC auch pathogen wirken, ist diese Unterscheidung umstritten. Potenziell ist jeder STEC/VTEC-Stamm ein EHEC-Stamm.

Ansteckung [Bearbeiten]

Der Erreger und die von ihm verursachten Infektionserkrankungen treten weltweit auf. Das Hauptreservoir des Erregers bilden Wiederkäuer, vor allem Rinder, aber auch Schafe und Ziegen.

Die Übertragung der Erreger erfolgt auf vielfältige Art und Weise stets durch die unbeabsichtigte orale Aufnahme von Fäkalspuren.[2] Der Erreger kann mit der Nahrung, insbesondere mit rohem Fleisch oder Rohmilch, aufgenommen werden; ebenso über fäkalienverseuchtes Trink- und Badewasser. Außerdem ist eine Ansteckung von Mensch zu Mensch sowie eine Übertragung durch Tier-Mensch-Kontakte möglich. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde in Familien, Kindertagesstätten, Altenheimen und Krankenhäusern nachgewiesen. [3]Bereits etwa 100 Bakterien können für eine Ansteckung genügen.[2]

Epidemiologie [Bearbeiten]

Seit die bundesweite Meldepflicht 1998 eingeführt wurde, zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Meldezahlen in Deutschland, hierbei spielt jedoch vermutlich auch eine zunehmend vollständigere Erfassung der Erkrankungsfälle eine Rolle. Mehr als die Hälfte der übermittelten Fälle betraf Kinder unter fünf Jahren. Die geographische Verteilung der Erkrankungen variiert stark. Die Flächenbundesländer mit den höchsten Inzidenzen sind Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Nur in knapp der Hälfte der übermittelten Fälle liegen Angaben zur Serogruppe vor, daher haben diese Zahlen zur Epidemiologie der unterschiedlichen Serogruppen in Deutschland nur eine begrenzte Aussagekraft. Auf die drei häufigsten Serogruppen O157, O103 und O26 verteilten sich fast 60 % der Erreger mit Angaben zur Serogruppe. Etwa 15 % der Fälle wurden im Rahmen von Häufungen übermittelt. Auch zur Epidemiologie der EHEC-Infektionen besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

Im Jahr 2008 hatte es im Raum Diepholz vermehrt EHEC-Ausbrüche gegeben, wobei es sich um einen klassischen Ausbruch gehandelt hat, der durch den Genuss von Rohmilch verursacht wurde.

2009 wurden in Deutschland insgesamt 835 EHEC-bedingte Durchfallerkrankungen ohne HUS an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet, 44 % der Erkrankten waren Kinder unter fünf Jahren.[4]

Erhöhte Fallzahlen 2011 [Bearbeiten]

Seit Mitte Mai 2011 kam es in Deutschland zu erhöhten Fallzahlen schwerer EHEC-Erkrankungen, wobei vor allem Erwachsene, davon überwiegend Frauen, betroffen waren. Die Meldungen kamen zunächst aus Norddeutschland, später traten auch Fälle in Süddeutschland auf. Das Robert-Koch-Institut registrierte bis zum 26. Mai 276 Fälle mit hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS), darunter zwei Todesfälle[5] und sprach von einer „sehr ungewöhnlichen Häufung schwerer Verläufe in einem kurzen Zeitraum“, auch die betroffenen Altersgruppen seien untypisch. In den vergangenen Jahren habe es noch nie so viele Fälle in so kurzer Zeit und mit so vielen kranken Erwachsenen gegeben.[6] Im Vergleich dazu waren im gesamten Jahr 2010 nur 65 Fälle von HUS registriert.[7] Deutschland verzeichnete nach Presseberichten am 28. Mai zehn Todesfälle infolge des hämolytisch-urämischen Syndroms.[8]

Am 26. Mai 2011 ermittelten Forscher um Helge Karch am Uniklinikum Münster den exakten Erregerstamm HUSEC 41 des Sequenztyps ST678, auch Serotyp O104 genannt.[9] AlsESBL-Bildner ist dieser gegen Penicilline und Cephalosporine resistent, nicht jedoch gegen Carbapeneme[10], deren Anwendung aus anderen Gründen aber kontraindiziert ist. Er gehört damit zu den multiresistenten Erregern.

Nach der anfänglichen Ungewissheit über die Infektionsquelle nannte das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt am 26. Mai 2011 als eine Übertragungsquelle Gurken spanischerHerkunft (MálagaAlmería), die vom Hamburger Großmarkt stammten.[11]

Krankheitsverlauf, Komplikationen [Bearbeiten]

Eine Infektion kann symptomfrei verlaufen. Andernfalls tritt nach einer Inkubationszeit von typischerweise drei bis vier Tagen, vereinzelt aber auch nach zwei bis zu zehn Tagen[12], eineGastroenteritis auf, die sich zu einer enterohämorrhagischen Colitis entwickeln kann. Die Toxine zerstören die Zellen der Darmwand und der Blutgefäßwände.

Als schwere Komplikation von EHEC-Darminfektionen ist auch das meldepflichtige enteropathische hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) mit oder ohne neurologische Komplikationen möglich. Ein HUS kann in etwa 85 % der Fälle auf eine EHEC-/STEC-Infektion zurückgeführt werden, kommt aber auch bei Shigellen oder anderen Erregern vor. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), die üblicherweise auch in diesem Zusammenhang genannt wurde, ein anderes Krankheitsbild mit unterschiedlicher Ursache ist, deshalb wird sie durch die amtliche Statistik nicht mehr erfasst und auch hier nicht mit aufgeführt. Die Ausscheidung der Bakterien erfolgt typischerweise in einem Zeitraum von 5 bis 20 Tagen, kann sich insbesondere bei Kindern jedoch auch über mehrere Monate erstrecken. In dieser Zeit ist eine Ansteckung weiterer Personen möglich.

Im Jahr 2001 wurden 64 Fälle von HUS an das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin übermittelt, im Jahr 2002 waren es mit 114 fast doppelt so viel, 2003 waren es 81 Fälle. Zu dem Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2002 trugen zwei überregionale Häufungen von HUS-Erkrankungen bei, die in Zusammenarbeit zwischen dem RKI und den betroffenen Landesgesundheitsbehörden untersucht wurden. Beide Häufungen wurden durch die sonst sehr selten festgestellte „Sorbitol-fermentierende Variante“ von EHEC O 157: H- verursacht, die bereits 1988 und 1996 zu Ausbrüchen in Bayern geführt hatte. Eine im Dezember 2002 durchgeführte Fallkontrollstudie ergab Hinweise auf einzelne Produkte als mögliche Risikofaktoren (selbst gepresster Apfelsaft und ein Joghurtprodukt); die definitive Ursache des Ausbruchs konnte jedoch nicht geklärt werden.[13]

Therapie [Bearbeiten]

Eine Bekämpfung des Erregers durch Antibiotika ist nicht Erfolg versprechend, da schnell Resistenzen auftreten, die Ausscheidung der Bakterien verlängert oder der Krankheitsverlauf durch eine erhöhte Toxinbildung verschlimmert werden kann. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert durch Ersatz des Wasser- und Elektrolytverlustes, der bei schweren Durchfällen auftritt. Krankenhauspatienten werden unter Beachtung allgemeiner Hygienemaßnahmen isoliert untergebracht.[14] Die Komplikationen HUS und TTP müssen intensivmedizinischbehandelt werden, beispielsweise durch Blutwäsche in Form von Hämofiltration und Eiweißaustausch.[15][16]

Meldepflicht [Bearbeiten]

In Deutschland sind der Verdacht oder Nachweis einer EHEC-Infektion nach §6 [17] des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) meldepflichtig, wenn entweder a) ein HUS vorliegt, b) zwei oder mehr Personen erkrankt sind, oder c) ein Erkrankter im Lebensmittel- oder Gaststättengewerbe tätig ist. Laborärzte müssen jeden Nachweis eines EHEC-Stammes bei der zuständigen Behörde (Gesundheitsamt) unverzüglich melden.

Inhaltsverzeichnis
Nach oben