Wider Reflexe und Denkverbote

"Denken ohne Geländer" - was wir von Hannah Arendt lernen können

 

 

Von Hartwig Tegeler

In ihrem neuen Film erzählt Margarethe von Trotta, wie die Philosophin Hannah Arendt mit ihrer Berichterstattung vom Eichmann-Prozess in Jerusalem einen politischen und intellektuellen Skandal auslöst. Sie habe sich ideologischen Reflexen widersetzt und Denkverbote nicht akzeptiert, meint Hartwig Tegeler.

Am Ende schickt Margarethe von Trotta "ihrer" Hannah Arendt auf einem einsamen Spaziergang die Inquisition auf den Hals. Die israelischen Geheimdienstler, die auftauchen, haben in den USA, der neuen Heimat der Emigrantin, nicht eine so totalitäre Macht wie die katholische Verfolgungsbehörde. Doch diese neuzeitlichen Inquisitoren sind des gleichen "Geistes Kind" wie ihre historischen Vorbilder.

Hannah Arendt möge doch ihr Buch über Eichmann nicht veröffentlichen; wie könne sie, eine Jüdin, so infame Lügen über ihr Volk verbreiten; und ihr Buch werde in Israel nie erscheinen dürfen. Sie verbieten Bücher und sprechen mir gegenüber von Anstand, empört sich Hannah Arendt bei Margarethe von Trotta.

Mag diese Szene auch fiktiv sein, es zeigt sich in ihr die Aktualität der politischen Theoretikerin Hannah Arendt, die das "Denken ohne Geländer" postulierte. In seiner praktischen Anwendung, bei der Analyse Adolf Eichmanns provozierte dieses Denken - "ohne Geländer" - einen Skandal.

Was mit einer gewissen Notwendigkeit, kann man aus historischer und aktueller Anschauung durchaus schlussfolgern, so kommen musste. Denn sie konnte in der Betrachtung Eichmanns eben keine Denkverbote akzeptieren. Auch hier hatte sie allein gemäß ihres Credo's den Wunsch zu verstehen und richtete den Blick streng auf die Realität. Genau das aber stellten viele ihrer intellektuellen Gegner ebenso wie ehemalige Freunde und Kampfgefährten in Frage. 

Faktisch warfen sie Arendt ein ausgesprochenes oder unausgesprochenes Diktum entgegen, das lautete: "Das darfst du nicht denken!". Alle Irritationen, die Hannah Arendt verbreitete, wurden im Reflex abgewehrt: die These von der "Banalität des Bösen" nicht anders als die Kritik an der Rolle der Judenräte in der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.

Wenn es um die Konstruktion einer Identität geht - Wer bin ich in der Welt? Was will ich noch wahrnehmen, wenn ich diesen Platz in ihr halten will? -, darf diese reflexartige Abwehr durchaus psychologisch interpretiert werden in dem Wunsch, die Welt einfach in Gut und Böse aufzuteilen und diesen Blick zu wahren.

Was uns auf direktem Wege hinein führt in die Diskussion um den Antisemitismus-Vorwurf gegen den Journalisten Jakob Augstein, den das Simon-Wiesenthal-Zentrum in den USA auf Rang neun der Top Ten der weltweit schlimmsten Antisemiten platzierte.

Hier findet sich etwas wieder, was an die Hannah-Arendt-Auseinandersetzung erinnert: Der fatale Reflex nämlich, die Kritik Jakob Augsteins an der Politik des Staates Israel, genauer an der aktuellen Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, mit einem Denkverbot zu belegen und Kritiker reflexartig zu Antisemiten und damit zum Feind zu erklären.

Rabbi Cooper vom Simon-Wiesenthal-Zentrum wirkt unglaubwürdig, wenn er jetzt ein wenig zurückrudert und konstatiert, dass nicht zwangsläufig jeder Antisemit ist, der sich israelkritisch äußert, um gleichzeitig zu fordern, Jakob Augstein müsse sich "bei seinen deutschen Lesern und dem jüdischen Volk" entschuldigen. 

Früher musste der Delinquent Abbitte leisten, bevor ihm Gnade widerfahren durfte. Eventuell ... Gnade! So darfst Du nicht denken, sonst wird der Bann nicht aufgehoben, scheint auch Rabbi Cooper zu denken, gekettet an seine "Geländer". Zur Erinnerung: In der Augstein-Auseinandersetzung ging es nicht um einen kriminellen Übergriff auf Juden. Das wäre eine rote Linie, die tatsächlich nicht überschritten werden darf.

Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, distanzierte sich von der Methode des Simon-Wiesenthal-Zentrums, obwohl er anderer Meinung ist als Jakob Augstein. Ziemlich vorbildlich eine solche Haltung, denn es geht darum, über die komplexe Wahrheit zu streiten. So ein Streit verträgt nichts Inquisitorisches und ebenso wenig reflexartige Denkverbote. Es geht um ein "Denken ohne Geländer".

Hartwig Tegeler
, Journalist, Autor, Hörfunk-Regisseur, geboren 1956 in Nordenham-Hoffe an der Unterweser, begann nach einem Studium der Germanistik und Politologie in Hamburg seine journalistische Arbeit bei einem Privatsender und arbeitet seit 1990 als Freier Hörfunk-Autor und -Regisseur in der ARD, schreibt Filmkritiken, Features und Reportagen.

 

Inhaltsverzeichnis
Nach oben